Gut zu wissen Tafel 4-6
Neue Bildungschancen
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde eine fundierte Bildung für junge Frauen immer wichtiger, denn immer mehr von ihnen ergriffen später einen Beruf. In Deutschland herrschte Frauenüberschuss, nicht jede Frau konnte sich mehr darauf verlassen, einen Ehemann zu finden und versorgt zu werden. Dazu kam, dass durch die im Zuge der Industrialisierung nach Deutschland strömenden Familien mehr Lehrerinnen und Erzieherinnen benötigt wurden. Diese Faktoren erwiesen sich als große Chance für die Frauenbildung und Frauenarbeit.
„Ausländerinnen“ aus Dorsten
Die aus Dorsten kommenden Ursulinen galten in Haselünne als „Ausländerinnen“. Dorsten gehörte seit 1815 zu Preußen, Haselünne hingegen zum Königreich Hannover. Daher mussten die Schwestern, die 1854 als Lehrerinnen nach Haselünne kamen, erneut ihre Examensprüfungen ablegen, um unterrichten zu dürfen.
Die Unterrichtsfächer
Folgende Fächer unterrichteten die Ursulinen an der Schule für höhere Töchter: Religion, Geschichte, Erdkunde, Deutsch, Englisch, Französisch, Rechnen, Zeichnen, Schönschreiben, Gesang und Handarbeit. Der fremdsprachliche Unterricht konnte auf Wunsch durch Kochen und Haushaltsführung ersetzt werden.
Erfolg im Exil
Das im Zuge des Kulturkampfes gewählte Exil Nimwegen stellte die Schwestern zunächst vor einige Herausforderungen: Zunächst mussten die Sprache gelernt und Examina abgelegt werden, bis die Elementarschule wiedereröffnet werden konnte. Beim Pensionat verhielt es sich etwas anders, da die Schülerinnen aus Haselünne die Schwestern ins Exil begleitet hatten. Schnell erwarben die Schwestern die vorgeschriebenen holländischen Examina und setzten in Nimwegen ihre Lehrtätigkeit fort. Auch in Nimwegen waren Haselünner Ursulinen sehr erfolgreich. Der Konvent wuchs sehr schnell und die Zahl der Pensionärinnen für die Höhere Töchterschule erhöhte sich binnen kurzer Zeit beträchtlich. Auch aus Deutschland besuchten viele Mädchen das Pensionat, welches den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in Nimwegen bildete. Auch externe holländische Schülerinnen wurden aufgenommen. Johanna Voss, die spätere Schulleiterin Mère Josepha Voss, die als Schülerin den Umzug nach Nimwegen mitgemacht hatte, trat nach kurzer Zeit in den Orden ein und machte noch vor ihrer Einkleidung das holländische Staatsexamen. Später erwarb sie auch die Berechtigung zur Schulleitung und wurde nach der Rückkehr nach Haselünne die erste Schulvorsteherin. Die spätere Haselünner Schulleiterin Mater Theresia Breme besuchte ebenfalls die Ursulinenschule in Nimwegen.
Teurer Pensionatsbesuch
Das Pensionat für Mädchen war die wichtigste Einnahmequelle der Schule. Pro Jahr entstanden den Eltern Kosten in Höhe von 125 Talern. Vergleicht man diese Summe mit den Einnahmen einer Familie im 19. Jahrhundert, stellte dieser Betrag manche Familie sicherlich vor finanzielle Herausforderungen. Das Jahreseinkommen eines Handwerksmeisters belief sich auf etwa 200 bis 300 Taler. Externe Schülerinnen, die nicht im Kloster wohnten, zahlten 15-20 Taler pro Jahr.
Physikbegeisterte Schwestern
Bereits bevor es für höhere Mädchenschulen verpflichtend wurde, naturwissenschaftlichen Unterricht anzubieten, begannen die Ursulinen in Haselünne mit dem Aufbau einer physikalischen Sammlung. Zu Namenstagen oder zu Weihnachten wünschten sich die Schwestern Messgeräte und Bücher, die sie in einem Physikschrank sammelten. Nach der Reform der Mädchenschulen und der Errichtung des Gebäudes A, später Altbau genannt, im Jahre 1910 erhielt die Schule dann auch einen Physikraum.
Behütete Schülerinnen
Erhaltene Briefe einer ehemaligen Schülerin zeugen vom fürsorglichen Umgang der Schwestern mit den Schülerinnen. Gewissenhaft wurde den Eltern Bericht über die Entwicklung des jungen Mädchens erstattet. Und als die Familie das Mädchen von der Schule nahm, da der Vater eine Anstellung im Ruhrgebiet erhielt, äußerten die Schwestern großes Bedauern.
Lebenswege nach der Klosterschule
Die Schule wurde von einigen jungen Frauen besucht, die nach ihrer Schulzeit in Haselünne ganz unterschiedliche Lebenswege einschlugen:
Agnes Morsbach (1854-1944), verh. Neuhaus: Erst Vorstand der westfälischen Zentrumspartei, dann der gesamten Zentrumspartei. Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und des Reichstags. Unter anderem gründete sie den „Katholischen Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder“, der seit 1968 den Namen „Sozialdienst katholischer Frauen“ (SkF) trägt.
Agnes Morsbach ist auf der Tafel „Der lange Weg zur Gleichberechtigung“ auf dem obersten Foto (Bildmitte, mit schwarzer Haarschleife) zu sehen.
Elisabeth Keimer (1898-1935): Promovierte Juristin und Künstlerin. Als eine der ersten Frauen erhielt sie den Auftrag, ein Portrait des damaligen Papstes Pius IX. anzufertigen. Freundschaften verbanden sie mit renommierten Künstlern jüdischen Glaubens – gleichzeitig aber auch mit Hermann Göring und seiner zweiten Frau Emmi. Göring beauftragte Keimer mit Arbeiten an seiner Villa bei Berlin und an seiner Jagdhütte – die sogar ihren Namen trug – und förderte sie beruflich. Keimer profitierte vom NS-Regime und stand – wie auch ihre Familie – der Ideologie nahe. Keimer starb bei einem Autounfall und wurde in Haselünne beigesetzt. An ihrer Beerdigung, die unter großer Beteiligung von NSADP-Mitgliedern in Uniform und mit gehissten Hakenkreuzfahnen stattfand, nahmen auch zahlreiche Personen aus der NS-Pateiführung teil, die aus Berlin mit dem Flugzeug angereist waren.
Hildegard Gethmann (1903-1988): Rechtsanwältin und Notarin. Sie setzte sich sehr für Frauenrechte ein und erreichte mit Mitstreiterinnen große Erfolge für die Gleichberechtigung der Frauen in der Bundesrepublik.
Gertrud Veltmann (1911): Juristin und erste und bisher einzige Direktorin beim Industrieunternehmen Mannesmann.
Mater Mathäa Ahaus (1890-1951): Ausbildung am schuleigenen Lehrerinnenseminar, danach Ordenseintritt und Studium von Kunst und Kunstgeschichte in Berlin. Nach Beendigung des Studiums war sie in Haselünne als Kunst- und Religionslehrerin tätig. Sie förderte Schülerinnen, in denen sie besonderes künstlerisches Talent erkannte. Mit großer Experimentierfreude und Geschick arbeitete sie in Öl und Aquarell, fertigte Druckgrafiken und Skulpturen. Im Jahr 2024 waren ihre Arbeiten Teil der Ausstellung „Kunst im Emsland“ auf Gut Altenkamp in Aschendorf.
Drei herausragende Schwestern
Mater Ignatia Breme (1876-1936): Zunächst Schülerin, dann Lehrerin in Haselünne. Sie war Mitautorin des 1910 erschienenen Lehrbuchs „Deutsches Lesebuch für höhere Mädchenschulen“. Sie war Oberin des Klosters, bevor sie 1923 nach Berlin ging, wo sie von 1925 bis 1929 Sekretärin des späteren Papstes Pius XII, mit bürgerlichem Namen Eugenio Pacelli, war. Dieser war von 1917 bis 1929 Apostolischer Nuntius (Botschafter des Vatikans) in Deutschland. Als Pacelli nach Rom zurückkehrte, ging Mater Ignatia nach Haselünne zurück. Hier war sie unter anderem als Übersetzerin eines Werks der norwegischen Literatur-Nobelpreisträgerin Sigrid Undset tätig, mit der sie einen regen Austausch pflegte. Dazu veröffentliche sie selbst Texte und Bücher und war dazu als Ausbilderin und Betreuerin für die Novizinnen des Klosters zuständig.
Ihre Schwester war Mater Theresia Breme (1873-1954), geb. als Maria Josefa: Schülerin während des Exils in Nimwegen, wo sie auch ihr Lehrerinnenexamen ablegte. Sie war eine der ersten Schwestern, die ein Studium abschlossen. Danach wurde sie Schulleiterin in Haselünne und später auch Oberin des Klosters. Unter ihrer Leitung wurde die Schule Gymnasium und war herausragender Anlaufpunkt für Mädchen aus ganz Deutschland, die das Abitur ablegen wollten.
Die Schwestern Breme, zu der auch Mater Josepha Breme (1885-1964) gehörte, prägten die damalige Kloster- und Schullandschaft nachhaltig: Mater Josepha ging 1927 nach Danzig, wo sie Oberin des neugegründeten Ursulinen-Klosters und Leiterin der angeschlossenen Mädchenschule wurde. Mater Ignatia leitete für ein Jahr den Aufbau eines neugegründeten Ursulinen-Klosters in Kanada.
„Nachhilfe“ für wählende Frauen
Nach dem Ende des Kaiserreichs wurde auch in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. In vielen Städten wurden Lehr- und Informationsveranstaltungen für Frauen angeboten, um sie auf dieses neue Recht vorzubereiten. In Haselünne fanden diese Veranstaltungen im Kloster statt. Dies geschah nicht ganz uneigennützig: Als katholischer Orden hatten die Ursulinen ein Interesse daran, katholisch geprägte Parteien zu unterstützen. Die Frauen sollten in erster Linie für die Wahl der katholischen Zentrumspartei gewonnen werden und davon abgehalten werden, sozialistische oder kommunistische Parteien zu unterstützen.
Die Anfänge der Kindergärten
Bereits vor 1782 gab es in Straubing eine von Ursulinen geführte Einrichtung für Kinder von vier bis fünf Jahren. Die Einrichtung, „Vorbereitungs Schul“ genannt, nahm kleine Mädchen auf, deren Eltern keine Zeit oder Möglichkeit hatten, sich tagsüber um sie zu kümmern, und die sonst ohne Aufsicht gewesen wären. In großer Zahl entstanden katholische Kindergärten oder „Bewahranstalten“ ab dem späten 19. Jahrhundert. Der weitaus überwiegende Teil aller damals bestehenden Kindergärten wurde von Ordensschwestern betrieben.
Auch im Emsland gab es schon im 19. Jahrhundert einen Kindergarten: Deutlich vor dem Kindergarten in Haselünne entstand in Lingen im Jahr 1876 eine „Kinderbewahranstalt“.